Samstag, 1. Dezember 2012

Anstand

Heute saß ich im Zug, links von mir ein Vierer-Platz besetzt von vier jungen Männern, die sich später als Studenten herausstellten (sie redeten u.A. über Vorlesungen). Zuerst, als ich in Elze zustieg, bemerkte ich, dass sie laut sind. OK, Advent, Wochenende, viele im Zug waren laut - da kann man schon tolerant sein. Dann habe ich ihrem Gespräch zugehört, obwohl ich versuchte ein Buch zu lesen, aber bei der Lautstärke war es unmöglich nicht hin zu hören. Sie redeten über das Betrügen in einer Beziehung und wie der Eine seine Freundin nie wieder betrügen wird, weil er nun selbst weiß wie es sich anfühlt. Komisch, dass manche so etwas selbst zu spüren bekommen müssen, um zu merken, dass es falsch ist. Trotz der Abscheu, die ich nun gegenüber diesen viel Kerlen empfand, hörte ich weiter zu. Sie verwendeten laut Schimpfwörter, ohne Hinsicht auf weitere Insassen. Mir fiel aber auf, dass genau hinter ihnen zwei kleine Mädchen saßen, ihre Eltern etwas weiter weg, und mit ihren Spielkonsolen spielten. Ich finde es schon sehr falsch in der Gegenwart von Kindern zu schimpfen. Ich warte sogar an der roten Ampel, wenn Kinder in der Nähe sind, um ihnen unauffällig zu zeigen, wie man sich zu verhalten hat. Aber diesen Kerlen war das absolut egal.

Es geht weiter: Sie fangen an über Alkohol zu reden - wie toll es doch ist, "Die beste Droge von allen!" und fügen ihrer Cola aus einer "Russian Standard"-Flasche Wodka hinzu. Dazu muss ich anmerken, dass wir in einem Metronom-Zug fuhren, wo der Alkoholkonsum verboten ist. So weit so gut. Ich warf ihnen schon einige verwunderte und böse Blicke zu und einer schien es bemerkt zu haben, aber das hat die wohl nicht weiter gestört. Ich war innerlich aber schon sehr aufgeregt und kurz davor ihnen meine Meinung zu sagen. Dann redeten sie über die Krokodil-Droge und Crystal Meth und wie toll doch Letzteres sei, wenn ohne Verunreinigungen...

Als der Eine dann meinte "Ich wäre dafür den Nationalsozialismus einzuführen, die Juden wieder zu jagen und zu vergasen!", wahrscheinlich scherzhaft und dabei auf Widerspruch seiner Freunde traf, riss mein Geduldsfaden. Ich richtete mich auf, versuche ruhig zu bleiben, und schob ungefähr folgende Rede:

"Zwei meiner Großonkel sind an der Front gegen die Nazis umgekommen. Ich selber bin russischer Jude und sollte ich noch ein Mal etwas in der Richtung hören, raste ich richtig aus. Außerdem seid ihr zu laut und werft alle möglichen Ausdrücke in den Raum, obwohl hinter euch Kinder sitzen. Ihr denkt vielleicht nicht daran, aber sie bekommen das alles mit und lernen es. Außerdem ist Alkohol hier verboten. Sollte demnächst eine Kontrolle vorbei kommen, werde ich nicht davor scheuen ihnen von eurer Wodka zu berichten. Seid jetzt bitte leise."

Ich weiß nicht, ob es die Wirkung der Bemerkungen war, die bei ihnen einschlug, oder mein ruhiger, aber bedrohlicher Ton, aber sie waren sofort niedergeschlagen und für den Rest der Fahrt sehr ruhig.
Ich finde, dass ich das Richtige getan habe. Ich spiele ungern den "Spießer", aber es gibt Regeln, wie z.B. den Alkoholverbot in Metronom-Zügen,  und es gibt moralische und soziale Regeln, die für mich noch wichtiger sind. Sobald eine unsichtbare Grenze überschritten wird, kann ich es nicht mehr ignorieren. Viele Rüpel sind heutzutage daran gewöhnt, dass sich niemand traut auch nur ein Wort zu sagen und denken gar nicht erst daran, dass sie andere stören könnten, oder sich generell falsch verhalten.

Beim Aussteigen bedankte ich mich bei ihnen dafür, dass sie meiner Bitte nachkamen und verabschiedete mich. Ich wollte nicht den Boss spielen, sondern jemand sein, der für das Richtige kämpft, sich aber nicht zu viel dabei einbildet.

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