Sonntag, 9. Dezember 2012

Vagabond

Ich möchte ein "Shugyosha" sein, ein Vagabund, ein wandernder Mensch, der die Welt und dadurch sich selbst kennen lernt. Das ist für mich eine krasse Einsicht gewesen und ohne Zweifel hat das Buch "Musashi" einen direkten Einfluss darauf. Ich habe lange darüber nachgedacht und bisher bekomme ich von allen Seiten nur Bestätigung zu meinem Vorhaben: Nachdem ich mein Studium abschließe, auf eine lange Reise zu gehen. Ein Rucksack, kein Ziel, von einer Stadt in die Andere, von einem Land in das Andere, sich an einem Ort niederlassen, dort arbeiten (als was auch immer, Arbeit gibt es immer) und Geld verdienen, das zur Existenz reicht, denn Geld ist sowieso nur Mittel zum Zweck und sollte niemals das Ziel in dem Leben eines Menschen sein.

Was spricht dagegen? Hier einige Beispiele:

- Die Leute würden mich für einen Penner halten.
Antwort: Egal. Diese konsumgetriebene Gesellschaft wird mir von Tag zu Tag immer mehr zuwider. Wichtig ist, was ich von mir halte.

- Es könnte sehr schwierig werden.
Antwort: Gut! Ein Mensch, der nicht mit den Schwierigkeiten des Lebens klar kommt, möchte alles auf dem Silbertablett serviert haben und sollte jemand kommen, der einem das Silbertablett nimmt, was macht man dann? Ich möchte für jede Situation im Leben gewappnet sein.

- Meine Lieben würden sich Sorgen um mich machen.
Antwort: Ich habe nicht vor den Kontakt abzubrechen. Vielleicht ist das ein Grund um die gute alte Brieftradition wieder aufleben zu lassen. Und mein Leben ist mir viel Wert. Ich stürze mich nie in etwas, wo ich nicht das Gefühl habe, dass ich bereit dafür bin.

- Ich bin einfach viel zu idealistisch! Sowas ist heutzutage nicht möglich und ich breche das Ganze nach wenigen Tagen/Wochen/Monaten ab.
Antwort: Das ist durchaus möglich. Aber ich lese/höre immer wieder über Leute, die solche Reisen in der heutigen Zeit unternehmen und sie bereuen nichts! Und selbst wenn ich es nicht schaffe, dann weiß ich, wo meine Grenze liegt. Es ist immer besser an die eigene Grenze zu gehen, als darüber zu spekulieren, wo sie denn nun liegt. Ich will nicht als älterer Mann bereuen etwas nicht getan zu haben, was ich aber machen wollte.

- Ich bin noch jung und sollte meine besten Jahre nutzen, mich ausbilden, mir einen Job suchen...
Antwort: ...und damit mein Leben in eine Routine führen? Ich soll meine besten Jahre damit verschwenden genauso wie alle zu leben und nach den Prinzipien zu handeln, die von dieser kranken Gesellschaft, welche zum größten Teil aus Schafen besteht, erfunden wurden? Soweit ich weiß, führt das nicht zum Glück. Solch ein Leben führt zu der Transformation in ein Werkzeug, das "lebt" um zu arbeiten. Das Wort "existiert" würde an dieser Stelle wohl besser passen. Ich bevorzuge es immer noch zu arbeiten, um zu leben, denn das Leben ist eine Gelegenheit die man schätzen und genießen sollte. Wenn mich jemand nach dem Sinn des Lebens fragt, dann ist das meine einzige Antwort.

Versteht mich nicht falsch. Ich bin kein anarchistischer Revolutionär, der die Welt gerne ins Chaos stürzen würde, nur weil ich mit einigen Dingen nicht zufrieden bin. Viel lieber würde ich meine Welt verändern und an meine Vorstellungen anpassen. Solange ich lebe und atme, kann ich mein Leben genießen. Genießen heißt hier aber nicht saufen, Party machen und die Sau raus lassen, denn in diesen Sachen sehe ich eine durch die o.g. Gesellschaft aufgezwungene Sichtweise des Genusses. Was ich meine, ist der Genuss eines jeden Atemzuges, ein Blick über den Horizont mit einem Lächeln, ein Freudenschrei nach jeder bezwungenen Schwierigkeit. Ein Leben frei von jeglichen psychischen Krankheiten, die ganz eindeutig die Folgen unserer "Zivilisation" sind. Wir leben in unseren vier Wänden, warm und sicher, fast wie in einer unsichtbaren Gefängniszelle und wir haben verlernt zu riechen, zu sehen, zu fühlen und die Welt zu verstehen. Alles dreht sich um das Ego und alle sind so "individuell" und "demokratisch", dass sie nicht merken, wie sie ein Teil der großen, grauen und gesteuerten Masse sind. Es entsteht ein künstliches und aufgezwungenes Zusammengehörigkeitsgefühl, welches nichts mehr mit dem natürlichen, tierischen und sozialen Gefühl zu tun hat. Jeder denkt in Wirklichkeit nur noch an sich.
Ich bin jemand, der das Alte schätzt: Traditionen, Riten, Benimmregeln, Kunst. Noch im 18. Jahrhundert sind Menschen, die später zu den ganz großen zählen sollten, nach ihrem Studium durch die Welt gezogen. Auch ich will vom Leben lernen, denn niemand kann mir so viel erzählen und beibringen, wie die eigene Erfahrung.

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was mir die Professorin in der Lektion über Sportpädagogik erzählte (2011), aber ich erinnere mich noch an die Lektionen und Geschichten des Professors aus den Kulturwissenschaften, aus meinem früheren Studium in Hildesheim (2007), so als hätte ich sie erst gestern gehört, denn dieser Mann erzählte aus seinen Jugendreisen, aus seiner eigenen Lebenserfahrung und seinen Fehlern, vor den wir uns hüten sollten. Dieser Mann konnte erzählen, genauso wie mein Erdkundelehrer vom Gymnasium, der ebenfalls viel reiste und vielleicht heute noch reist. Solche Lektionen haben eine gravierende Wirkung auf mich. Auch aus meiner Alpenreise habe ich eine Menge für die Zukunft mitgenommen und diese habe ich schon sehr schonend gestaltet.

Ich finde, dass ich, bevor ich mir den Job suche, den ich über viele Jahre ausüben sollte und eine Familie gründe, erstmal selber erwachsen werden und mich selbst verstehen sollte. Wisst ihr über euch Bescheid? Wer seid ihr? Was wollt ihr? Habt ihr euch diese Fragen schon mal gestellt?
Was macht es für einen Sinn irgendwelchen ausgedachten Konzepten zu folgen, um dann mit 60/70/80 auf dem Sterbebett zu bereuen, dass man seine Träume nicht gelebt hat? Wenn ich diese Reise antreten und sie jemals beenden sollte, dann dürfte ich noch jung genug sein, um mir eine gute Arbeit zu suchen, eine Familie zu gründen und Kinder groß zu ziehen. Aber wenigstens bereue ich dann nichts und habe etwas, was ich meinen Enkelkindern erzählen kann.

Manche Menschen glauben, sie würden viel wissen, wenn sie sich über mehrere Jahre in der Bibliothek einsperren und alle Bücher durchlesen. Es stimmt, dass man Vieles aus Büchern lernt, und ich selber lese sehr gerne, aber man lernt sehr viel mehr aus dem Leben selbst. Man muss sich Herausforderungen suchen und sich ihnen stellen, um sich selber zu beweisen, dass man es Wert ist, auf dieser Welt zu sein.

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